Bayern: Crystal Meth breitet sich aus

Recherchen von BR Data und BR Recherche zeigen: Das Phänomen Crystal Meth hat sich gewandelt. Einige der Brennpunkte liegen weiterhin entlang der tschechischen Grenze, aber die Droge ist mittlerweile in ganz Bayern angekommen. Besonders der Raum Nürnberg ist betroffen.

– von Oliver Schnuck und Maximilian Zierer

Crystal Meth in Bayern 2008

2008

Crystal Meth in Bayern 2009

2009

Crystal Meth in Bayern 2010

2010

Crystal Meth in Bayern 2011

2011

Crystal Meth in Bayern 2012

2012

Crystal Meth in Bayern 2013

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Crystal Meth in Bayern 2014

2014

Crystal Meth in Bayern 2015

2015

Crystal Meth: Funde je Landkreis

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52 Kilogramm Gift. Polizisten haben in den vergangenen acht Jahren in Bayern Crystal Meth für mehr als eine halbe Million Konsumeinheiten sichergestellt. Genug, um jedem einzelnen Bürger einer Stadt der Größe Nürnbergs den vermeintlichen Kick zu versetzen. Und Fälle finden sich nicht mehr nur an der tschechischen Grenze, sondern auch in Gemeinden wie Gersthofen, Weibersbrunn oder Heimertingen im Unterallgäu.

Und bei Ihnen?

Um die Situation in Ihrem Landkreis kennenzulernen, klicken Sie hier.

Crystal Meth breitet sich aus. Die bayerische Polizei hat fast überall in Bayern Konsumenten, Dealer und Kuriere mit der Droge erwischt. Die Zahl der Funde und die sichergestellte Menge haben sich vervielfacht. Auch die Todesfälle, die mit Crystal Meth in Verbindung stehen, sind seit 2010 deutlich angestiegen und summieren sich inzwischen auf 100. In den vergangenen acht Jahren haben Polizeibeamte in Bayern zudem insgesamt 48 illegale Crystal-Labore ausgehoben. Das belegen Auszüge aus der Falldatei Rauschgift, einer Polizeidatenbank für Drogenfunde, die BR Data und BR Recherche exklusiv vorliegen.

Die Daten stammen aus Antworten der Staatsregierung auf Anfragen der Landtagsopposition, etwa von Katharina Schulze von den Grünen. Seit 2008 hat sich die Droge demnach sukzessiv über ganz Bayern ausgebreitet, allerdings mit deutlichen regionalen Unterschieden. In manchen Landkreisen hat die Polizei in acht Jahren nur wenige Gramm sichergestellt, in anderen dagegen mehrere Kilo – bei teilweise mehr als hundert Fällen pro Jahr. Und Fahnder gehen von einer hohen Dunkelziffer aus.

Auszug Falldatei Rauschgift

Auszug aus der Falldatei Rauschgift

Raum Nürnberg im Fokus

Allein in der Stadt Nürnberg stellten Polizeibeamte mehr als acht Kilogramm der Droge sicher, weitere 4,7 Kilogramm waren es im angrenzenden Fürth und im Landkreis Nürnberger Land. Das Bayerische Innenministerium verweist immer wieder auf die Brennpunkte in Bayern: Neben den Grenzregionen zu Tschechien nennt das Ministerium besonders die Ballungsräume München und Nürnberg - in einem Atemzug. Allerdings zeigen die BR-Recherchen: Im gleichen Zeitraum waren es in München nur 410 Gramm. Auch die Anzahl der Funde zeichnet ein klares Bild:

Funde pro 100.000 Einwohner

In München stellt die Polizei jährlich etwa zwei Funde pro 100.000 Einwohner fest. In Nürnberg ist dieser Wert mehr als zehnmal so hoch.

Und während das Münchner Umland kaum vom Problem Crystal betroffen ist, zählen die an Nürnberg angrenzenden Landkreise zu den am stärksten betroffenen Gebieten überhaupt. Neben einigen spektakulären Großfunden findet sich in den Daten eine hohe Zahl von kleinen Einzelfunden, die auf erhöhten Konsum in der Stadt hindeuten.

Auszug Falldatei Rauschgift

Für das Jahr 2015 finden sich in der Falldatei Rauschgift 120 Crystal-Funde in Nürnberg

Crystal-Schmuggel nimmt zu

Der Zoll hat im vergangenen Jahr noch einmal so viel Crystal sichergestellt wie die Polizei. Jürgen Thiel, Sachgebietsleiter für Rauschgiftschmuggelbekämpfung, Zollfahndungsamt München: "Die von uns geführten Verfahren zeigen, was leider zu befürchten war: Dass die Ausbreitung der Droge in die Fläche über die Ballungsräume hinaus stattfindet und nach meiner Einschätzung auch weiter stattfinden wird."

Wie viele Menschen wirklich Crystal konsumieren, lässt sich aus Daten über sichergestellte Mengen und Funde nicht direkt ableiten. Allerdings: Über die Jahre gesehen geht die Entwicklung sowohl beim Zoll als auch bei der Polizei klar nach oben. Im vergangenen Jahr waren es zwar etwas weniger Fälle, die gefundene Menge hat aber zugenommen. Entwarnung ist also nicht angesagt.

Zwölf Tote allein im Raum Passau

Kriminalpolizeiinspektionen in ganz Bayern stellen Todesfälle fest, die auf den Konsum von Crystal Meth zurückzuführen sind (Daten).

In allen Teilen Bayerns sterben Menschen an Crystal Meth. Auch hier zeigt sich: Die Brennpunkte liegen in Nürnberg und an der tschechischen Grenze. Aber auch in den Regionen Lindau, Traunstein oder Memmingen sind bereits Crystal-Konsumenten an den Folgen der Droge gestorben. Allein zwölf Crystal-Todesfälle meldete die Kriminalpolizeiinspektion Passau.

Insgesamt hat die Polizei zwischen 2010 und November 2015 genau 100 Drogentote in der Falldatei Rauschgift vermerkt, die unter anderem Crystal Meth konsumiert hatten. Bei den meisten dieser Fälle handelt es sich um Konsumenten, die neben Crystal Meth auch andere Drogen wie Heroin oder Kokain nahmen.

Knapp 50 Crystal-Labore in Bayern

Drogenfund des Zolls

Zwei Kilogramm Crystal Meth (Foto: Zoll)

Tschechien ist zwar Haupteinfuhrland für Crystal, aber die Droge kommt nicht nur über die Grenze nach Bayern. Immer wieder stößt die Polizei auch im Freistaat auf illegale Labore, die unter anderem Crystal herstellen, oder "deren Aufbau den Versuch belegt, Crystal herzustellen", wie es im Beamtendeutsch heißt. Seit 2008 haben bayerische Polizeibeamte insgesamt 48 solcher Labore ausgehoben, zuletzt Ende Dezember 2015 in der Gemeinde Lam im Landkreis Cham. Dort fanden die Fahnder 55 Gramm der Droge.

Beim Crystal-Kochen kommen Ephedrin und verwandte Stoffe wie Pseudo- und Chlorephedrin zum Einsatz. Pseudoephedrin kann aus Nasentropfen und anderen Medikamenten gewonnen werden. In Tschechien und Polen ist die Abgabe solcher Medikamente mittlerweile beschränkt, in Deutschland sind sie dagegen weiterhin rezeptfrei erhältlich.

BR-Umfrage bestätigt Tendenz

Klar ist: Crystal Meth hat sich in Bayern ausgebreitet. Eine nicht repräsentative Umfrage, die der Bayerische Rundfunk unter Suchtberatungsstellen in ganz Bayern durchgeführt hat, bestätigt dieses Bild. Drogenberater in allen Teilen Bayerns sind mit Crystal-Konsumenten konfrontiert. In Oberfranken hat offenbar jeder fünfte Süchtige, der zur Drogenberatung geht, Probleme mit Crystal Meth.

Anteil der Crystal-Konsumenten in Suchtberatungsstellen (in %)

Vor allem die oberfränkischen Suchtberatungsstellen betreuen viele Crystal Meth-Konsumenten

Fast alle befragten Beratungsstellen gaben an, dass die Zahl der Crystal-Konsumenten in den vergangenen drei Jahren gestiegen oder zumindest gleich geblieben ist. Ein Drittel der Beratungsstellen hat außerdem Schwangere betreut, die die Droge konsumiert haben.

Die Umfrage sagt auch einiges darüber aus, wer Crystal Meth nimmt: Viele Berufstätige sind darunter, oft, um den Anforderungen im Job zu genügen. Und 40 Prozent der Suchtberatungen in Bayern betreuten im vergangenen Jahr auch Akademiker, die nicht mehr von der Droge loskamen. Bei Nachfragen ergab sich eine breite Palette an Berufsbildern: Banker, Gerüstbauer, Kurierfahrer, Bauarbeiter, aber auch Studenten und Meisterschüler greifen gerne auf Crystal Meth zurück.

Die Situation in Ihrem Landkreis

Crystal Meth ist in fast ganz Bayern ein Thema, allerdings mit deutlichen regionalen Unterschieden. Um herauszufinden, wie Ihre Heimatregion von Crystal Meth betroffen ist, klicken Sie in der Karte auf Ihren Landkreis und finden Sie es heraus:

Crystal Meth: Funde je Landkreis seit 2008

1
35
70
105
140
175
210

Klicken Sie auf Ihren Landkreis in der Karte, um die Situation vor Ort kennenzulernen (Daten).

 

Falls Sie oder Personen aus Ihrem Umfeld Probleme mit Crystal Meth oder anderen Drogen haben: Unter www.kbs-bayern.de finden Sie eine Suchtberatungsstelle in Ihrer Nähe.

Über die Daten

Daten über Drogenfunde werden von Polizei, Landeskriminalämtern und Zoll in einer internen Datenbank gespeichert, der sogenannten Falldatei Rauschgift (FDR). Darin wird detalliert vermerkt, welche Polizeidienststelle an welchem Tag, an welchem Ort, welche Menge Drogen sichergestellt hat. Diese Daten sind teilweise öffentlich einsehbar, weil Abgeordnete im Bayerischen Landtag immer wieder entsprechende Anfragen an die Staatsregierung stellen. Nicht enthalten sind dabei die Sicherstellungen des Zolls. Da die FDR zu verschiedenen Zeitpunkten abgefragt wurde, können sich Unschärfen ergeben. Die Daten zu Drogentoten beziehen sich auf die Einzugsbereiche der Kriminalpolizeiinspektionen, die meistens mehrere Landkreise umfassen. Diese Analyse beruht auf Auswertungen der folgenden Antworten der Bayerischen Staatsregierung:

Fallzahlen 2015: "Crystal Meth in Bayern auf dem Vormarsch: aktuelle Daten", gestellt von Katharina Schulze (Grüne), nicht veröffentlicht
Fallzahlen 2014: "Crystal Meth und Drogenkriminalität in Bayern", gestellt von Christoph Rabenstein (SPD)
Fallzahlen 2008-2013: "Probleme durch die Droge Crystal Meth", gestellt von Katharina Schulze (Grüne)
Zahlen Drogentote: "Drogentote in Bayern", gestellt von Peter Paul Gantzer (SPD)