In der Hitze der Stadt

Tausende Menschen sterben in Deutschland jedes Jahr an Hitze und ihren Folgen. Urbanisierung und Klimawandel verschärfen das Problem, wie Satellitenbilder aus deutschen Städten zeigen.

Würzburg am 24. Juli 2019 um 12:15 Uhr.

Das Thermometer auf dem Marktplatz zeigt 34,7 Grad Celsius. Die Temperatur wird an diesem Tag noch auf knapp 37 °C steigen. Es ist bereits der dritte Tag in Folge, an dem die Temperatur deutlich über 30 °C liegt. Die Stadt ächzt unter der Hitze.

Diese Satelitenaufnahme zeigt Würzburg und Umgebung. Es ist kein normales Foto, sondern ein Wärmebild. Auf der Aufnahme lässt sich die Oberflächentemperatur erkennen. Also welche Teile der Stadt besonders viel Wärme speichern und abstrahlen.

Tagsüber heizen sich industriell genutzte Flächen wie der Neue Hafen und ein benachbartes Gewerbegebiet im Stadtteil Dürrbachau stark auf. Grund dafür ist neben den großen Fabrikhallen eine nahezu vollständige Versiegelung des Bodens. Asphalt, aber auch die hier verlegten Bahngleise werden bei direkter Sonneneinstrahlung besonders heiß.

Das Gegenteil bewirken Grünflächen, Bäume und jede Form von Vegetation. Direkt an das Stadtgebiet grenzt der Guttenberger Wald. Bäume und Wälder wirken kühlend und können in Hitzewellen als Rückzugsorte für die Bevölkerung dienen.

Gleiches gilt für Gewässer wie Flüsse und Seen. Sie erwärmen sich tagsüber deutlich langsamer als versiegelte Flächen. Der Main wirkt wie ein kühles Band, das sich durch Würzburg und Umgebung zieht.

Würzburg am 25. Juli 2019 um 20:35 Uhr.

In den Abendstunden sinken die Oberflächentemperaturen, die Unterschiede zwischen Stadt und Umland werden klarer. Auch die Industrieflächen in Dürrbachau sind immer noch aufgeheizt, das eigentliche Problem liegt jedoch woanders.

Nämlich da, wo viele Menschen leben. In Hitzewellen kühlen sich Viertel mit einer hohen Bebauungsdichte nachts oft nicht ausreichend ab – die Hitze staut sich und wird zum Gesundheitsrisiko für die Bewohner. In Würzburg ist das zum Beispiel in der Altstadt und den angrenzenden Vierteln Zellerau und Sanderau so.

Wissenschaftler nennen das Phänomen urbanen Hitzeinsel-Effekt. Um genauer zu verstehen, wie sich der in Lufttemperaturen ausdrückt, haben Forscher mehrere Messstationen aufgebaut. Eine davon steht auf dem Marktplatz in der Altstadt von Würzburg.

Eine zweite befindet sich nur wenige Kilometer enfernt in Gerbrunn – einem deutlich weniger dicht bebauten Vorort von Würzburg. Der Verlauf der Lufttemperaturen für den Tag der Satellitenaufnahme zeigt, wie unterschiedlich die Hitzebelastung in der Innenstadt im Vergleich zum Umland ausfällt.

Tagesverlauf der Lufttemperatur am 24. Juli 2019

Quelle: Universität Würzburg

In den Abend- und Nachtstunden können die Unterschiede zwischen Stadt und Vorort hier zum Teil 5 °C und mehr betragen. Während diese Nacht in der Innenstadt Würzburgs eine sogenannte tropische Nacht mit Temperaturen über 20 °C war, sind sie in Gerbrunn zumindest für kurze Zeit unter 20 °C gesunken.

Hitze als tödliche Gefahr

Für unsere Gesundheit ist also von Bedeutung, wo wir wohnen. Sogenannte Tropennächte mit Temperaturen über 20 °C belasten den Körper, weil die Wärme die Regeneration im Schlaf erschwert. Aber nicht nur in der Nacht, auch am Tag ist Hitze eine permanente Herausforderung – das macht sie so gefährlich. Flüssigkeitsverlust kann zu Kreislaufproblemen, Gefäßverschlüssen und im schlimmsten Fall zu Herz- oder Nierenversagen führen. Ist der Körper nicht mehr in der Lage ausreichend zu schwitzen, droht eine tödliche Überhitzung.

Wie viele Menschenleben die Hitze jedes Jahr fordert, lässt sich nur schätzen, da sie als Todesursache in Deutschland nicht offiziell erfasst wird. Laut einer im Jahr 2020 veröffentlichten Studie starben 2018 in Deutschland 20.000 Menschen über 65 Jahren an den Folgen von Hitze. Zum Vergleich: Deutschland zählt pro Jahr rund 3.000 Verkehrstote. Nicht nur Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes sind gefährdet. Mehrere Tage mit durchgehend hoher Hitzebelastung machen auch jüngeren und gesunden Menschen oft schwer zu schaffen.

Hitzewellen nehmen zu

Die verschiedenen Regionen Deutschlands sind zwar unterschiedlich stark von Hitzewellen betroffen, dennoch gibt es eine besorgniserregende Gemeinsamkeit: Zahl und Länge der Hitzewellen haben in den vergangenen Jahrzehnten in allen untersuchten Städten deutlich zugenommen.

Hitzewellen-Definition nach Kysely:

Die Diagramme zeigen die Anzahl der Tage, die in Hitzewellen liegen. Eine Hitzewelle wird festgestellt, sobald eine Temperatur von 30 °C an mindestens drei Tagen in Folge überschritten wird und hält so lange an, wie die mittlere Maximaltemperatur über die gesamte Periode über 30 °C bleibt und an keinem Tag eine Maximaltemperatur von 25 °C unterschritten wird. Quelle: DWD / Eigene Berechnungen

Wo genau das Hitzerisiko am größten ist, lässt sich flächendeckend aus dem All erkennen, weil Satelliten mehr „sehen“ als wir. Menschen können nur einen kleinen Teil der elektromagnetischen Strahlung erfassen: Rot, Grün und Blau. Die Daten der NASA-Missionen Landsat und ECOSTRESS bilden einen für Menschen unsichtbaren Bereich der elektromagnetischen Strahlung ab, das thermische Infrarot. Von dieser Wärmestrahlung lassen sich die Temperaturen der Erdoberfläche ableiten. Datenjournalist*innen des BR haben diese Daten für ganz Deutschland ausgewertet. So wird aus dem Weltall sichtbar, wie die Zusammensetzung der Erdoberfläche die abgestrahlte Wärmeenergie beeinflusst. Die Datenbilder zeigen, wo Städte umgebaut werden müssten, um die Menschen in einer heißer werdenden Welt besser zu schützen.

Hitzeinseln in Ihrer Stadt

Wählen Sie Ihre Stadt oder eine Stadt in Ihrer Nähe aus, um zu sehen wie sich der Hitzeinsel-Effekt hier in den Abendstunden räumlich ausprägt.

Hannover, München, Mannheim: Überall zeigt sich die abendliche Hitzebelastung in Städten. Aufgrund der Satelliten-Flugbahn sind die Aufnahmen an unterschiedlichen Tagen und zu unterschiedlichen Uhrzeiten entstanden. Sie lassen sich somit nur bedingt miteinander vergleichen. Quelle: ECOSTRESS

Städte müssen sich anpassen

In Städten wie Würzburg aber auch Mannheim oder Frankfurt, die in besonders heißen und trockenen Regionen Deutschlands liegen, zeigen sich die Folgen bereits deutlich. Seit Jahren sterben in Würzburg immer mehr Bäume. „Direkt auf dem Stadtgebiet sind es ungefähr 1500 Bäume, die wir in den letzten Jahren entnehmen mussten, weil sie krank waren.“, sagt der zweite Bürgermeister der Stadt, Martin Heilig. Je wärmer es wird, umso mehr leiden die Bäume – und umso wichtiger werden sie: Ein Baum verdunstet bis zu 100.000 Liter kühlendes Wasser im Jahr. Beim Hitzeschutz sind vertrocknende Bäume aber nur eine Baustelle von vielen, sagt Heilig: „Wir müssten im Grunde genommen die ganze Stadt umbauen.“ Alte Bäume schützen und neue pflanzen, Gewässer anlegen, Flächen entsiegeln, Dächer und Fassaden begrünen, Frischluftschneisen einplanen: Die Maßnahmen, die vor Hitze schützen, helfen auch bei extremen Niederschlägen und drohenden Überschwemmungen. Sie sind bekannt, aber auch teuer.

Umweltbundesamt: Klimaschutz muss ins Grundgesetz

„Wir sind in einer Krisensituation. Einerseits gibt es einen deutlichen Wissens- und Erkenntnisfortschritt – und in den letzten Jahren leider zunehmende Erfahrungen – und gleichzeitig ein Umsetzungsdefizit“, sagt Holger Robrecht vom internationalen Städteverband ICLEI. Ein Grund hierfür ist die ungelöste Frage, wer die Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel bezahlen soll: Bund, Länder oder Kommunen? Das Bayerische Gesundheitsministerium sieht die Kommunen bei Maßnahmen gegen Hitze in der Pflicht und verweist auf BR-Anfrage auf eigene Beratungsangebote, Forschungsförderung und Schulungen. Patrick Friedl, der Sprecher der Bayerischen Grünen für Klimaanpassung kann das nicht nachvollziehen. Er kritisiert, dass Maßnahmen zur Klimaanpassung für die Kommunen freiwillig sind: „Es gibt keine Verpflichtung, würde der Freistaat sagen, ihr seid verpflichtet dazu, müsste er es finanzieren“. Damit der Bund Kommunen bei Starkregenvorsorge, Hitze- und Hochwasserprävention finanziell unterstützen könne, müsse Klimaanpassung als Gemeinschaftsaufgabe ins Grundgesetz aufgenommen werden, fordert sogar das Umweltbundesamt. Das sei notwendig, damit der Bund Kommunen bei Starkregenvorsorge, Hitze- und Hochwasserprävention finanziell unterstützen könne, heißt es auf BR-Anfrage.

Hitzeinseln deutschlandweit erkunden

Suchen Sie nach Ihrer Stadt oder Gemeinde, um zu sehen, wie sich Ihre Region an Sommertagen aufheizt.

Tagsüber heizen sich Gewerbegebiete, Innenstädte aber auch Flughäfen und kahle Äcker besonders auf. Die Karte zeigt die durchschnittliche Oberflächentemperatur aufgezeichnet an Sommertagen zur Mittagszeit (ca. 12 Uhr) bei geringer Wolkenbedeckung. Quelle: Landsat 8

Über das Projekt

„Klimawandel: In der Hitze der Stadt“ ist eine Recherche des Bayerischen Rundfunks (BR Data, BR Recherche, BR AI + Automation Lab und Unkraut).

Veröffentlicht am 20. September 2021

Autoren: Rebecca Ciesielski, Oliver Schnuck
Geodaten: Michael Kreil, Marco Lehner
Redaktion: Helga van Ooijen und Robert Schöffel
Grafiken: Steffen Kühne, Oliver Schnuck
Programmierung: Sebastian Bayerl, Steffen Kühne

Wetterdaten: Universität Würzburg und Deutscher Wetterdienst (DWD)
Satellitendaten: Landsat 8 (Tag-Aufnahmen) und ECOSTRESS (Abendstunden)
Hintergrundkarte: CartoDB, OpenSteetMap