Versuchsaufbau
Auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt zu werden ist für viele Menschen gefühlte Realität. Doch lässt sich Diskriminierung auf dem Mietmarkt tatsächlich nachweisen und falls ja, wie stark ist sie ausgeprägt? Gibt es Unterschiede nach Geschlecht und Herkunft des Bewerbers? Wie unterscheiden sich einzelne Städte voneinander? So lauteten die Fragen, die wir uns zu Beginn dieser Recherche gestellt haben. Um sie zu beantworten, haben wir in einem automatisierten Prozess über 20.000 Bewerbungen auf etwa 7.000 Wohnungsannoncen versandt und die eingegangenen Antworten ausgewertet. Wie wir unsere Untersuchung im Detail aufgebaut und die Resultate ausgewertet haben, ist im Folgenden dokumentiert.
Fiktive Personen
Um zu überprüfen, ob Wohnungssuchende aufgrund ihres Namens und des damit assoziierten Migrationshintergrundes, bereits bei der Einladung zu Wohnungsbesichtigungen diskriminiert werden, haben wir folgende fiktive Personen konstruiert:
Name | Alter | Herkunft | Geschlecht |
---|---|---|---|
Hanna Berg | 27 | deutsch | weiblich |
Nina Weiss | 26 | deutsch | weiblich |
Stephan Braun | 26 | deutsch | männlich |
Daniel Buschle | 27 | deutsch | männlich |
Aylin Demirci | 27 | türkisch | weiblich |
Hamit Yilmaz | 26 | türkisch | männlich |
Milena Adamowicz | 27 | polnisch | weiblich |
Mikolaj Janowski | 26 | polnisch | männlich |
Maryam Abedini | 26 | arabisch | weiblich |
Ismail Hamed | 27 | arabisch | männlich |
Vittoria di Lauro | 26 | italienisch | weiblich |
Stefano Loguercio | 27 | italienisch | männlich |
Carsten Meier | 42 | deutsch | männlich |
Lovis Kuhn | 25 | deutsch | männlich |
Mit den türkischen, italienischen und polnischen Namen wurden die zahlenmäßig größten Einwanderergruppen in Deutschland abgedeckt. Zusätzlich wurden Personen arabischer Herkunft gewählt, da diese Bevölkerungsgruppe mutmaßlich besonders von Vorurteilen betroffen ist. Ansonsten verfügten alle unsere fiktiven Personen über annähernd identische Voraussetzungen. Sie sind 26 oder 27 Jahre alt und Berufsanfänger im Bereich Marketing – einem der größten Berufsfelder für junge Akademiker.
Um über die Herkunft hinaus erfassen zu können, wie positiv oder negativ die Rückmeldungen ausfallen können, haben wir zwei weitere Profile erstellt. Auf der einen Seite: Dr. Carsten Meier, alleinstehender Arzt Anfang 40, vorbildliches Anschreiben – quasi ein Traummieter. Auf der anderen Seite Lovis Kuhn, Langzeitstudent. Sein Anschreiben ist formlos, lässig geschrieben.
Auswahl der Wohnungsannoncen
Das Wohnungsangebot in Deutschland ist äußerst vielfältig. Im Fokus unseres Interesses stand dabei eine möglichst alltägliche Situation. Ein durchschnittlicher Mieter sucht eine ganz gewöhnliche Wohnung. Er oder sie sucht kein Penthouse und auch kein autofreies Wohnprojekt, sondern schlicht eine bezahlbare Wohnung mit 30 bis 60 m2 Wohnfläche, wie sie von der stetig wachsenden Zahl an Single-Haushalten nachgefragt wird.
Um einen möglichst breiten Querschnitt entsprechender Wohnungen zu finden, haben wir die beiden größten Online-Mietbörsen, ImmobilienScout24 und Immowelt, genutzt. Wir haben hierfür im Juni sowie September 2016 zwei Mal täglich auf neu eingestellte Wohnungsannoncen in den Städten Berlin, Dresden, Dortmund, Frankfurt, Hamburg, Köln, Leipzig, Magdeburg, München und Nürnberg geantwortet.
Um den unterschiedlichen Preisen auf den Wohnungsmärkten Rechnung zu tragen, haben wir dabei den IMX-Mietpreisindex 2014 herangezogen. In Dresden haben wir beispielsweise Wohnungen mit einer Kaltmiete von 150 bis 496 Euro monatlich erfasst, im teureren München Wohnungen im Bereich von 312 bis 937 Euro.
Kontaktaufnahme
Für den Versand unserer Anfragen haben wir pro Stadt vormittags und abends jeweils bis zu zehn der neu erfassten Wohnungsannoncen ausgewählt und automatisiert die jeweiligen Kontaktformulare auf den Immobilienportalen ausgefüllt. Um nicht aufzufallen, haben wir hierzu zehn verschiedene Anschreiben verwendet, die sich in Länge und Wortwahl ähneln, aber gleichzeitig unterschiedlich genug waren, um kein Misstrauen bei den Anbietern zu wecken. Für die oben beschriebenen Bewerber mit Extremprofil verwendeten wir jeweils ein besonders gutes und ein besonders schlechtes Anschreiben.
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist {Name}, ich bin 27 Jahre alt und suche eine Wohnung in {Stadt}. Ich bin ledig, arbeite seit kurzem als Marketing-Manager und kann ein geregeltes Einkommen nachweisen. Die von Ihnen angebotene Wohnung entspricht genau meinen Vorstellungen. Über eine Rückmeldung von Ihnen und einen Besichtigungstermin würde ich mich deshalb sehr freuen. Bei der Terminfindung richte ich mich gerne ganz nach Ihren Wünschen.
Mit freundlichen Grüßen
{Name}
Hallo,
habe ihre Wohnungsanzeige gesehen und würde die Wohnung gerne anschauen. Geht das und wenn ja, wann? Ich bin 25, absolviere gerade ein Studium in Ethnologie und bin dringend auf der Suche nach einer neuen Bleibe. Würde mich freuen, wenn das klappt. Bitte melden sie sich.
Danke und Grüße
Lovis Kuhn
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit großem Interesse habe ich ihre Wohnungsannonce gelesen, da mir das von Ihnen angebotene Objekt außerordentlich gut gefällt. Ich möchte mich zuerst einmal kurz vorstellen: Ich heiße Dr. Carsten Meier, bin 42 Jahre alt, alleinstehend und arbeite seit kurzem als Orthopäde in einer Privatpraxis in {Stadt}. Außerdem bin ich Nichtraucher und besitze keine Haustiere, an einem langfristigen Mietverhältnis ist mir sehr gelegen. Über die Einladung zu einer Wohnungsbesichtigung würde ich mich sehr freuen, zeitlich bin ich flexibel und kann mich ganz nach Ihrem Vorschlag richten. Gerne könnte ich Ihnen bei dieser Gelegenheit auch eine Schufa-Auskunft und meinen Verdienstnachweis vorlegen. Über eine Antwort von Ihnen würde ich mich sehr freuen.
Einstweilen verbleibe ich mit freundlichen Grüßen
Dr. Carsten Meier
Jede der von uns ausgewählten Wohnungsannoncen wurde dabei mit einem deutschen und zwei ausländischen Profilen des gleichen Geschlechts kontaktiert. Die Anfragen wurden immer im Abstand von etwa 30 Minuten versendet. Jede zehnte Wohnung wurde im selben Zeitraum zusätzlich durch die beiden Bewerber mit Extremprofil kontaktiert.
Kategorisieren der Antworten
Nach dem soeben beschriebenen Muster haben wir insgesamt 20.728 Bewerbungen versendet. Zurückbekommen haben wir 8.377 Mails von Wohnungseigentümern, Verwaltern und Maklern. Diese Antworten haben wir in einer Datenbank gespeichert und in einem ersten Schritt der jeweiligen Anfrage und Person zugeordnet. Die Zuordnung gelang oftmals über die eindeutige ID der Immobilienanzeige oder die Adresse der Wohnung. Vor allem bei der manuellen Auswertung waren auch der Zeitpunkt der Antwort, der Titel der Wohnungsannonce, der Preis oder der Name der Kontaktperson für die Zuordnung hilfreich.
Anschließend wurden mutmaßliche Wohnungsbetrugsfälle und Spam anhand auffälliger, wiederkehrender Textpassagen aussortiert und die verbleibenden E-Mails händisch in Kategorien eingestuft. Als positiv haben wir dabei Antwortmails bewertet, die entweder eine Einladung zu einem Besichtigungstermin beinhalten oder einen solchen konkret in Aussicht stellen. Alle anderen Rückantworten wurden – genau wie nicht gegebene Antworten – als negativ eingestuft. Hier ist es unserer Person nicht gelungen, mittels erster Kontaktaufnahme zu einer Besichtigung eingeladen zu werden.
Diskriminierungsrate
Am klarsten lässt sich Diskriminierung erkennen, wenn unsere fiktiven Personen bei der Bewerbung auf eine identische Wohnung unterschiedliche Antworten erhalten haben. Jede erfolgreich von einer deutschen und einer nicht-deutschen Person angeschriebene Wohnung lässt sich in folgende Kreuztabelle einordnen:
Positiv ausländisch | Negativ ausländisch | |
---|---|---|
Positiv deutsch | pp | pn |
Negativ deutsch | np | nn |
Neben einer Bevorzugung der deutschen Bewerber (pn) gibt es ebenso Fälle, in denen nur die Person mit ausländisch klingendem Namen eine positive Antwort erhält (np). Das kann eine bewusste Entscheidung des Vermieters sein. Oder schlicht damit zusammenhängen, dass der deutsche Bewerber später angeschrieben und der Vermieter die Anfrage gar nicht erst gelesen hat. Um das tatsächliche Ausmaß der Diskriminierung von Personen mit ausländischem Namen nicht zu überschätzen, fließen auch diese Fälle in die Berechnung der Diskriminierungsrate ein:
diskr = (pn - np) / (pp + pn + np)
Wie setzen also die Fälle von Ungleichbehandlung ins Verhältnis zur Zahl der Wohnungen, deren Vermieter auf mindestens eine unserer beiden Anfragen positiv reagiert haben. Fälle, in denen keine unserer Personen eine Zusage erhalten hat (nn), berücksichtigen wir nicht bei der Ermittlung der Diskriminierungsrate. Sie zeigen vielmehr, wie angespannt der Wohnungsmarkt ist.
Wir sichern die Diskriminierungsrate mit einer logistischen Regression ab, um Faktoren wie die Reihenfolge der Anschreiben zu kontrollieren. Das Modell bestätigt die Ergebnisse aus der deskriptiven Berechnung. Es hilft uns außerdem festzustellen, ob Unterschiede im Ausmaß der Diskriminierung verschiedener Teilgruppen (zum Beispiel Frauen und Männer) statistisch signifikant sind. Damit beziehen wir uns auf eine Studie der empirischen Sozialforscherin Prof. Auspurg von der LMU München.
Anteil positiver Rückmeldungen
Neben dem Ausmaß der Diskriminierung betrachten wir ebenfalls, wie häufig einzelne Personen oder Gruppen positive Antworten erhalten haben. Und zwar relativ zur Gesamtzahl der gestellten Anfragen:
p = positive_antworten / anfragen
Der Anteil positiver Rückmeldungen (p) hilft uns dabei einzuordnen, wie groß die Bedeutung einzelner Faktoren bei der Wohnungssuche ist. So zeigt sich, dass die Aussichten auf eine positive Rückmeldung auch mit dem Geschlecht des Bewerbers, der jeweiligen Stadt und der Organisationsform des Anbieters (gewerblich oder privat) variieren.
Es gibt unterschiedliche Typen von Vermietern. Während manche Massenbesichtigungen durchführen, laden andere nur wenige Bewerber zu einem Treffen vor Ort ein. Daher rechnen wir auch hier eine logistische Regression mit einem Zufallsfaktor je angeschriebener Wohnung. Dieser modelliert das möglicherweise unterschiedliche Antwortverhalten verschiedener Vermieter.
Chancenverhältnis
Ein Regressionsmodell bildet auch die Grundlage für die Berechnung des Chancenverhältnisses zwischen Deutschen und Bewerbern mit ausländischen Namen. Die Chance auf eine positive Rückmeldung ergibt sich aus dem Anteil der positiven Rückmeldungen (p) wie folgt:
chance = p / (1 - p)
Das Chancenverhältnis (r) zwischen ausländischen und deutschen Bewerbern ist somit:
r = chance_ausländisch / chance_deutsch
Es bildet ab, wie schwer es Personen mit ausländischem Namen im Vergleich zu deutschen Bewerbern auf dem Wohnungsmarkt haben. Die Chancenverhältnisse in den jeweiligen Städten resultieren nach dieser Logik aus einer logistischen Regression, in der eine Interaktion zwischen der Stadt und dem zugeschriebenen Migrationshintergrund eines Bewerbers explizit modelliert wird.
Eine detaillierte Darstellung der Analysen sowie der zugehörige Programm-Code sind hier verlinkt. Auch der komplette Datensatz befindet sich im entsprechenden Repository auf GitHub.
Habt ihr Fragen zu unserer Methodik? Wir freuen uns über eure Rückmeldung per E-Mail oder auf Twitter (BR Data, SPIEGEL ONLINE).