Wir müssen draußen bleiben

Warum Hanna zur Besichtigung eingeladen wird und Ismail nicht

Wer mit einem ausländischen Namen eine Wohnung sucht, hat es deutlich schwerer als ein deutscher Bewerber. Besonders stark diskriminiert werden Menschen mit arabischem und türkischem Namen. Das zeigt ein groß angelegtes Experiment der Datenjournalisten des Bayerischen Rundfunks und des SPIEGEL.

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illustrierte Szene einer Wohnungsbesichtigung

Hanna und Ismail sind neu in der Stadt und haben auch sonst viel gemeinsam: Beide sind Ende zwanzig, Single, arbeiten in einer Agentur und suchen dringend eine bezahlbare Wohnung. Wie die meisten Suchenden scannen sie täglich die Online-Portale und schreiben Bewerbungen. Viele Bewerbungen. Ihre Anschreiben sind nahezu identisch: Klar, freundlich und in gutem Deutsch verfasst. Und doch: Hanna wird rasch zu einigen Besichtigungen eingeladen, Ismail hingegen erhält deutlich weniger Antworten.

illustriertes Portrait von Hanna

Hanna Berg

27 Jahre alt, ledig, arbeitet im Bereich Marketing. Hanna spricht und schreibt fehlerfreies Deutsch.

illustriertes Portrait von Ismail

Ismail Hamed

27 Jahre alt, ledig, arbeitet im Bereich Marketing. Ismail spricht und schreibt fehlerfreies Deutsch.

Ist das Zufall oder steckt dahinter eine systematische Benachteiligung? Wir wollten es genau wissen und haben über mehrere Wochen hinweg 20.000 Wohnungsanfragen verschickt, mit fiktiven deutschen und nicht-deutschen Profilen. Natürlich sind Hanna und Ismail nicht in den direkten Wettstreit um die gleiche Wohnung getreten, denn dann hätte neben ihrer Herkunft wohl auch ihr Geschlecht das Ergebnis beeinflusst. Wir haben immer nur Frauen oder nur Männer gegeneinander antreten lassen.

Rund 8.000 Antworten haben wir auf unsere Anfragen erhalten – und ihre Auswertung belegt: Menschen mit ausländischem Namen werden auf dem Mietmarkt deutlich diskriminiert. Besonders hart trifft es Wohnungssuchende mit türkischer oder arabischer Herkunft. In jedem vierten Fall, in dem ein Deutscher eine Einladung zu einer Besichtigung erhält, werden sie übergangen.

Arabisch
27 %
Türkisch
24 %
Polnisch
12 %
Italienisch
8 %

In so vielen Fällen mit mindestens einer Einladung wird der Bewerber mit Migrationshintergrund diskriminiert.

Zur Erinnerung: Die Benachteiligung erfolgt einzig und allein aufgrund des Namens. Und wir befinden uns erst auf der ersten Stufe des Auswahlprozesses. Die engere Auswahl durch einen Makler und die Entscheidung des Vermieters stehen noch aus – was vermutlich weitere Nachteile für nicht-deutsche Bewerber wie Ismail mit sich bringt.

Was unser Experiment ebenfalls zeigt: Zusätzlich zur Nationalität spielt auch das Geschlecht eine wichtige Rolle. Türkische Männer werden gegenüber deutschen Männern stärker benachteiligt als türkische Frauen gegenüber deutschen Frauen. Auch bei unseren arabischen Testpersonen stellen wir eine Tendenz zu einer stärkeren Diskriminierung von Männern fest. Eine weitere schlechte Nachricht für Ismail.

Nationalität männlich weiblich
Arabisch 31 % 23 %
Türkisch 33 % 16 %
Polnisch 12 % 12 %
Italienisch 8 % 8 %

Diskriminierung gegenüber deutschen Bewerbern, aufgeschlüsselt nach Geschlecht

Unterschiede treten auch zwischen privaten und gewerblichen Anbietern auf. Wir haben festgestellt, dass Privatpersonen ausländische Bewerber stärker diskriminieren als Makler, Hausverwaltungen oder Wohnungsunternehmen. Das mag damit zusammenhängen, dass sie seltener Massenbesichtigungen organisieren und bereits bei der Vergabe von Besichtigungsterminen härter selektieren. In Städten mit vielen privaten Wohnungsangeboten haben es ausländische Bewerber deshalb tendenziell schwerer.

In unserem Experiment, das wir in zehn großen Städten durchgeführt haben, zeigt sich das vor allem für München. Hier ist nicht nur der Wohnungsmarkt besonders angespannt, sondern auch der Anteil der privat vermittelten Wohnungen hoch. Die Chancen von Ismail und Co., zu einer Besichtigung eingeladen zu werden, sind in München etwa halb so groß wie die eines deutschen Bewerbers. In Frankfurt beobachten wir diesen Effekt ebenfalls. In den ostdeutschen Städten Magdeburg und Leipzig ist der Chancenunterschied zwischen deutschen und ausländischen Bewerbern gering, genauso wie der Anteil der privaten Angebote.

München

-46 %

München

Frankfurt (Main)

-31 %

Frankfurt

Leipzig

-18 %

Leipzig

Magdeburg

-17 %

Magdeburg

In München und Frankfurt ist der Unterschied zwischen den Chancen ausländischer und deutscher Wohnungsbewerber am größten, in Leizpig und Magdeburg am geringsten.

Zur Kontrolle unseres Versuchsaufbaus haben wir einen sehr guten und einen eher schlechten Bewerber eingebaut: Dr. Carsten Meier, alleinstehender Arzt, eloquent, und Lovis Kuhn, Langzeitstudent, flapsig und unprofessionell bei der Kontaktaufnahme. Eigentlich wollten wir deren Abschneiden gar nicht veröffentlichen, doch das Ergebnis hat uns überrascht und beleuchtet das Ausmaß der Diskriminierung noch von einer anderen Seite: Erwartungsgemäß erhielt Dr. Carsten Meier die meisten Rückmeldungen von allen Testpersonen. Doch Lovis Kuhn reiht sich nicht wie erwartet ganz am Ende der Skala ein, sondern schneidet besser ab als Ismail Hamed und sein türkisches Pendant Hamit Yilmaz.

Das Anschreiben von Lovis Kuhn war immer gleich, die Anschreiben für unsere regulären Testpersonen, in diesem Fall Ismail, wurden jeweils zufällig aus zehn vergleichbaren Texten ausgewählt:

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Ismail Hamed, ich bin 27 Jahre alt und suche eine Wohnung in München. Ich bin ledig, arbeite seit kurzem als Marketing-Manager und kann ein geregeltes Einkommen nachweisen. Die von Ihnen angebotene Wohnung entspricht genau meinen Vorstellungen. Über eine Rückmeldung von Ihnen und einen Besichtigungstermin würde ich mich deshalb sehr freuen. Bei der Terminfindung richte ich mich gerne ganz nach Ihren Wünschen.

Mit freundlichen Grüßen

Ismail Hamed

Hallo,

habe ihre Wohnungsanzeige gesehen und würde die Wohnung gerne anschauen. Geht das und wenn ja, wann? Ich bin 25, absolviere gerade ein Studium in Ethnologie und bin dringend auf der Suche nach einer neuen Bleibe. Würde mich freuen, wenn das klappt. Bitte melden sie sich.

Danke und Grüße

Lovis Kuhn

Trauen Vermieter einem Langzeitstudenten also eher zu, ein guter Mieter zu sein, als einem perfekt Deutsch sprechenden, festangestellten Mann mit Migrationshintergrund? Genau das haben wir in einigen Fällen festgestellt. Rational, etwa mit wirtschaftlichen Gründen, lässt sich dieses Verhalten kaum erklären. Und wenn selbst Ismail, ausgestattet mit einem fehlerfreien Anschreiben und einer festen Anstellung, solche Probleme auf dem Wohnungsmarkt hat, lässt das erahnen, vor welchen Problemen Migranten stehen, die erst seit kurzem hier sind.

Dabei wird geeigneter Wohnraum von Politikern neben Sprache und Job immer wieder als einer der drei Eckpfeiler für Integration genannt. Doch ohne geeignete Maßnahmen bleiben das leere Worte. Zwar gibt es ein Antidiskriminierungsgesetz, der konkrete Nachweis einer Benachteiligung bei der Wohnungsvergabe ist im Einzelfall allerdings äußerst schwierig. So sorgen Vermieter und Makler gemeinsam dafür, dass Migranten auf dem Wohnungsmarkt faktisch diskriminiert werden. Und Ismail die meisten Wohnungen gar nicht erst von innen zu sehen bekommt.

Habt ihr selbst Erfahrungen mit Diskriminierung bei der Wohnungssuche gemacht? Oder habt ihr Freunde, die benachteiligt wurden? Schreibt uns Eure Geschichte.